Gross, grösser, Foto Gross:
Das Bild- und Firmenarchiv Foto Gross
Das Fotofachgeschäft Foto Gross darf sich gleich mit mehreren Superlativen schmücken: Zeitweise beschäftigte es über 30 Angestellte. Diese waren in der gesamten Nordostschweiz und im Fürstentum Liechtenstein unterwegs und erstellten während mehr als hundert Jahren hunderttausende von Bilder verschiedenster Genres von Luftbild- über Produkt- und Portrait- bis hin zu Reportagefotografien. Foto Gross gehörte zu den grössten Ansichtskartenverlagen der Schweiz. Dementsprechend lagerten zeitweise mehrere Millionen Ansichtskarten im Firmensitz an der Grossackerstrasse 1. Von den acht Geschossen dieses Gebäudes wurden allein sechs von Foto Gross genutzt. Hinzu kamen weitere extern gelegene Arbeitsräume und Lager.
Aber zurück zu den Anfängen. Die Foto Gross AG ist ein Stadtsanktgaller Fotofachgeschäft, das von Hans Gross (1889-1954) 1921 gegründet wurde. In der Folge arbeiteten noch drei weitere Generationen aus dieser Familie als Fotografen. Foto Gross war operativ in drei Bereichen tätig: Im Fotofachgeschäft wurden Fotoapparate, Filme, Laborausrüstungen und weiteres Fotozubehör verkauft. Die Entwicklung von Farb- und Schwarz-Weiss-Filmen und Dias, das Erstellten von Schwarz-Weiss- oder Farbabzügen oder das Aufziehen dieser Bilder erfolgte im Fotofachbetrieb. Im hauseigenen Ansichtskartenverlag wurden schliesslich die Aufnahmen, die Foto-Gross-Fotografinnen und -Fotografen erstellt hatten, als Ansichtskarten vertrieben.
Dank der Zusammenarbeit von Stadt und Ortsbürgergemeinde St.Gallen sowie privater Unterstützung konnten die beiden Stadtarchive St.Gallen 2011 diejenigen Bilder des Fotoarchivs Foto Gross sichern, auf denen die Stadt St.Gallen, Wittenbach, Mörschwil, Winkeln, Engelburg, Abtwil und St. Josefen zu sehen sind. Diese Aufnahmen vom beginnenden 20. Jahrhundert bis 2010 ergänzen – unabhängig vom Aufnahmeort – Sach-, Portrait- und Reportagefotografien etc. sowie Fotobestände anderer Fotografen. Abgelegt in Archivschachteln reihen sich so im Magazin der Stadtarchive insgesamt rund 100 Laufmeter aneinander. Dieses umfangreiche Fotomaterial wird durch die Stadtarchive gereinigt, digitalisiert, archivgerecht verpackt und erschlossen, d.h. mit schriftlichen Bildinformationen versehen (mehr dazu unter Stadtarchiv | stadt.sg.ch).


Flugaufnahmen
Ab 1937 wurden regelmäsig Flugaufnahmen erstellt. Um brauchbare Bilder zu erhalten, benötigt es grosses fotografisches Geschick: So müssen die Übertragung von Vibrationen des Flugzeugmotors, das Auftreten von Turbulenzen, die Fluggeschwindigkeit und der atmosphärische Dunst berücksichtigt werden. Die meteorologischen Bedingungen sind ebenfalls zentral. Nötig ist zudem eine reibungslose Kommunikation zwischen Pilot und der Person, die fotografiert, da der gewünschte Anflugwinkel sonst nicht eingehalten werden kann.
Architekturaufnahmen
Mitarbeitende von Foto Gross nahmen Bauwerke nicht nur aus Flugzeugen oder Helikoptern auf, sondern bestiegen dafür auch Hügel, Kirchtürme oder andere grosse Gebäude. Die im Bildarchiv Foto Gross zahlreich vorhandenen Architekturaufnahmen zeigen viele Bauten, die inzwischen abgebrochen wurden. So dokumentieren sie auf eindrückliche Weise den Wandel der Stadt St.Gallen.


Sachaufnahmen
Bei Sachaufnahmen geht es um Produkte. In der Regel wurden diese Fotografien zu Werbe- oder Dokumentationszwecken erstellt und sollten möglichst «sachlich», das heisst «neutral» und «objektiv» gehalten sein. Um diesen Eindruck zu erwecken, sind die Objekte möglichst mit ausgeglichenen und nachvollziehbaren Tonwerten, unverzerrt und bis ins letzte Detail scharf wiederzugeben. Trotzdem mussten die Angestellten tief in die fotografische Trickkiste greifen: Scheinwerfer, Spiegel, weisse Hintergründe, spezielle Entwicklungsverfahren, Negativ- und Positivretusche fanden Anwendung.
Abb_4: Ein modulares, aus Stahlträgern angefertigtes Industrielagerregal der Firma Kempf + Co. AG Herisau aus dem Jahr 1956. Um die Ausmasse sowie die wertige Konstruktion des Industrieregals angemessen visualisieren zu können, wurde ein Arbeiter sowie der störende Hintergrund wegretuschiert. (StadtASG, PA Foto Gross, TA29982_3)

Portrait- und Gruppenaufnahmen
Die Portraitfotografie unterscheidet Live- und Atelier-Portraits. Foto Gross bot beide Arten an: die Dokumentation in gewohnter Umgebung sowie Aufnahmen im Fotostudio an der Grossackerstrasse. Eine gelungene Portraitfotografie soll nicht nur das Äussere eines Menschen ablichten, sondern auch seine Persönlichkeit einfangen. Nur wenn die Personen vor und hinter der Linse miteinander interagieren, entstehen eindrückliche Bilder. Neben Einzelportraits erstellte Foto Gross auch Gruppenportraits von Hochzeitsgesellschaften, Familien, Schulklassen, diversen Vereinen sowie gesellschaftlichen Ereignissen wie Kinder- oder Musikfesten.
Abb_5: Eine Gruppenaufnahme im Fotoatelier an der Grossackerstrasse 1 1921. Bei Atelier-Aufnahmen wurden diverse Requisiten verwendet; bei frühen Kinderaufnahmen etwa Lammfelle oder Kinderspielsachen. (StadtASG, PA Foto Gross, Rohdruckalbum 1, 369)
Reportagefotografien
Reportageaufnahmen dienen der Bildberichterstattung. Sie sind deshalb stark auf die «Wirklichkeit» ausgerichtet, unterliegen aber stets der Auswahl und Interpretation, die der Fotograf oder die Fotografin wählt So erzählen Angestellte von Foto Gross Geschichten von «Verkehrsunfällen», Krankheiten oder wiederkehrenden Festen in der Stadt wie dem Kinderfest oder der Olma usw.
Abb_6 und Abb_7: Ein Brand zerstörte in der Nacht auf den 13. Juli 1955 das Hotel Walhalla Terminus am Bahnhofplatz. Während des Brandes nahm das 1861 gebaute Gebäude massiven Schaden: Der Dachstock brannte lichterloh und eine einstürzende Glaskuppel verunmöglichte die Bergung der Hotelgäste und des Hotelpersonals durch das Treppenhaus. Dennoch gelang es der Feuerwehr, 19 Personen aus dem sechsstöckigen Gebäude zu retten. Die Feuersbrunst forderte aber auch ein Todesopfer: «Ein italienischer Bankdirektor, der schon in Sicherheit war, vermisste plötzlich seine Gemahlin und seinen Sohn. Er riss sich vom Arm eines Polizisten los und rannte neuerdings in das brennende Hotel zurück. Man folgte ihm, er verschwand im Rauch. Man griff leider vergebens zu Kreislaufgeräten, um ihn zu suchen. Er blieb im Rauch verschwunden [...]» und konnte nur noch tot geborgen werden.

Tieraufnahmen
Unter den zahlreichen Aufnahmen unterschiedlichster Tierarten finden sich im Bildarchiv Foto Gross neben Fotografien von heimischen Tieren auch Exoten wie Steinböcke, Murmeltiere, Gemsen, Löwen, Elefanten oder Pelikane Diese Tiere wurden teils im natürlichen Lebensraum, aber auch in Zoos oder Wildtierparks fotografiert. Neben «naturalistischen» Darstellungen wurden die Tiere auch als Menschen verkleidet abgelichtet.
Abb_8: Das abgebildete Sujet stellt den letzten Foto-Gross-Superlativ dar: Zwischen 1954 und 1970 fertigten Mitarbeitende von Foto Gross mehr als 104'000 Abzüge dieses Bildes an. Damit stellt es das wohl am meisten verkaufte Ansichtskartenmotiv von Foto Gross dar. (StadtASG, PA Foto Gross, BA27331)
Die Digitalisierung, Konservierung und Erschliessung des Bildarchivs Foto Gross ist noch im Gange. Neben der Sicherung dieses visuellen Kulturguts besteht das Ziel darin, einen Teil des Bildbestands öffentlich zugänglich zu machen. Bereits jetzt sind einige Bilder auf dem Onlineportal des Stadtarchivs einsehbar.
Wer Aufnahmen von Foto Gross in analoger Ausprägung ansehen will, kann dies ab dem 6. April 2022 im Restaurant Vitamin im Kantonsspital St.Gallen machen. In der Ausstellung St.Gallen gestern – heute – morgen werden achtzehn Grossformatige Aufnahmen aus den 1920er- und 1930er-Jahren gezeigt.
Leiter Stadtarchiv